Wundervoll und prachtvoll stehen Tulpen in einer Reihe in unserem Vorgarten.

Dabei fällt mir jedoch auf, dass eine von ihnen recht klein und mickrig wirkt. Ich überlege, warum sie wohl nicht so groß und schön gewachsen ist wie die anderen Tulpen der gleichen Art? Ich mache mir die Mühe, der Sache auf den Grund zu gehen.

Bei näherem Hinschauen entdecke ich, dass sie nur so klein wirkt; aber eigentlich die gleiche Größe hat wie die Anderen. Der Grund dafür ist ein größerer Stein, der auf ihrem Stiel liegt.

Er muss von Anfang an auf der Tulpenzwiebel auf der Erde gelegen haben, unter der die Zwiebel mit aller Anstrengung hervor wachsen wollte.

Daher hatte diese Tulpenzwiebel es sehr viel schwerer, überhaupt ans Tageslicht zu gelangen. Sie musste einen Umweg um den Stein herum machen und konnte dann erst nach oben streben.  Durch diesen für sie sehr schwierigen Wachstumsprozess, wurde ihr Stiel enorm gekrümmt gebildet und wirkte dadurch nun scheinbar kürzer.

Weil sie hierfür unglaublich viel Kraft aufwenden musste, war die Blüte auch nicht so kräftig und ausgebildet wie die der Anderen.

Ich nehme den Stein auf, der noch auf ihr liegt und entferne ihn. Die Krümmung des Stiels ist deutlich sichtbar.

Dabei denke ich darüber nach, wie schnell ich mich von reinen Äußerlichkeiten beeindrucken lasse, wenn etwas anders zu sein scheint, als die „Normalität“, das Gewohnte.

Ich verstehe wieder einmal, dass es gut ist, sich die Mühe zu machen, herauszufinden, was hinter dem „Unnormalen“ steckt.

Dieser Tulpe wurde ein Stein auf ihren „Entwicklungsweg“ gelegt, so dass sie nicht die gleiche Wachstumschance hatte wie die Anderen.

Umso erstaunlicher ist, dass sie es dennoch so schief und verkrüppelt ans Tageslicht schaffte und ihre Blüte zeigte.

Nun freue ich mich ganz besonders über sie, denn ich sehe in ihr einen besonderen Wert.

Ihre ganze Kraft, ihren Lebenswillen hat sie aufgebracht, um in ihre Bestimmung einer blühenden Tulpe zu gelangen. Der schwierige Weg zu diesem Lebensziel hin war für sie kein Hindernis. Sie tat das, was ihr möglich war.

Daher ist sie nun für mich die wunderschönste Tulpe von allen.

Sie zeigt mir mit ihrer besonderen Hingabe, dass die Erfüllung des Lebensziels auch unter erschwerten Bedingungen lohnenswert ist und gelingen kann.                                            

GS